Lieber Manfred – und natürlich auch liebe sonstige Anwesende dieses Anwesens, die hier ihr Unwesen treiben, getrieben haben oder nicht unwesentlich damit verbunden sind.
Ich weiß gar nicht, warum i c h hier und heute eine Rede vom Stapel lassen soll. Das wird doch nur wieder lauter Unsinn. Ich meine, wenn ein Schulleiter dieses Kollegs in Richtung Ruhestand segelt, dann müsste am Pult der Zeit doch eher eine Amts- und Würdens-Person stehen, die von Amts wegen den Konjunktiv „würde“ bedient. Wer würde nicht gern einmal?!
Das soll doch etwas Feierliches werden. Nachdenklich muss das dann natürlich auch noch sein. Weil man nach dem Handeln auch mal denken – also nachdenken will. Aber gut, da man mich von dieser Aufgabe noch nicht suspendiert hat, reiße ich mich heute mal zusammen. Also werde ich – bevor wir dann alle auseinandergehen – beginnen.
So, der Einstieg ist gemacht.
Den Hauptteil soll man ja am besten mit einem Zitat aus der Altvätervorderzeit oder einem Sprichwort einleiten. Also etwa so:
Der Krugmann geht so lange zum Wasser, Mann, bis er bricht, Mann. Mann, man, man! Lachen Sie jetzt nicht. Ich meine das völlig ernst. Aber das löse ich erst später auf. Soviel Spannung muss schon sein.
Also wie nun beginnen. Natürlich in der Diaspora, im lippischen heimatlichen Milieu Manfreds: Belle. Ja belle, wer da beißen kann. Es gibt böse Menschen, die sagen: Dort möchte man nicht tot über’n Zaun hängen. Wer dort aufwächst, den zieht es natürlich unwillkürlich in die Ferne. Und das heißt für einen Lipper – ich kenne mich da qua Abstammung quasi bestens aus – das heißt für einen Lipper, wenn er nicht von allen guten Geistern verlassen ist, erst mal das Land zu verlassen, aber nicht zu weit, um es nicht bei einer jämmerlichen Verlassenheit zu belassen. Aber lassen wir das.
Jedenfalls erkennen wir hier bereits eine komplexe Grundstruktur Manfred Krugmanns: seine Mischung aus Umtriebigkeit und Beharrlichkeit. Diese besondere Mixtur, lieber Manni, Ex-Chef und Nachtkumpan, hat dich auch hier am und um das Kolleg herum immer ausgezeichnet. Wahrscheinlich ist diese fächerübergreifende Eigenschaft – Entschuldigung, natürlich anders herum – diese eigenschaftsübergreifende Fächerung deiner selbst das eigentlich Auszeichnende und Ausgezeichnete deines Schaffens am Westfalen-Kolleg Paderborn.
(Ich kann das für einige gern noch einmal wiederholen.)
Wie kann man dich nun als Schulleiter des Kollegs treffend beschreiben? Was ist mir an dir aufgefallen. Was habe ich bewundert, was auch mal kritisch gesehen oder gar belächelt?
Da ist zuerst dein unglaubliches Namensgedächtnis. Nicht nur, dass du fast alle Studierenden namentlich ansprechen konntest. Nein, auch die meisten Kolleginnen und Kollegen der anderen Weiterbildungskollegs in NRW waren bzw. sind dir bekannt. Du warst immer ein großer Vernetzer.
Schon als du mich vor gut 26 Jahren an das Kolleg holtest, hast du mich auf zahlreiche Fortbildungsveranstaltungen nach Soest, Köln, Dortmund, Düsseldorf und Bielefeld mitgeschleppt, dazu noch die vielen Ringveranstaltungen, die dich zu so etwas wie den Herrn der Ringe erscheinen ließen.
Damals warst du noch gar kein Schulleiter, standest aber mit weiteren „Jedi-Rittern“ dem Dezernenten „King Kruse“ tatkräftig zur Seite. Der „Illuminaten-Schmiede“ einer neuen Generation von Schulleitern im Zweiten Bildungsweg.
Dieses Vernetzt-Sein legtest du natürlich nach deiner Inauguration nicht ab. Es war dir immer auch wichtig, in Kontakt mit weiteren wesentlichen Weichenstellerinnen und Weichenstellern zu bleiben, Strippen zu ziehen.
Du weißt, ich wollte dem nicht folgen. Mir lag nichts an einer schulischen Karriere. Das habe ich dir ziemlich früh gesagt. Das System Schule ist mir eigentlich bis zum Schluss relativ wesensfremd geblieben. Was nicht heißt, dass ich nicht gern Lehrer am hiesigen Kolleg war.
Losgelöst davon, am Kolleg eine Schulkarriere anzustreben, konnte ich ungezwungen eine Rolle einnehmen, die mir viele Möglichkeiten des Beobachtens gab. Und so konnte ich als Paradiesvogel eben doch so einiges mitbekommen.
Ich nannte uns ja immer das Dreigestirn damals: Detlev, der Kaiser, du der König und ich – der Narr. Ich habe als Narr, u.a. als Ernst Heiter, schon in den Kollegbriefen darüber eine Menge geschrieben. Über dich aber fast nichts. Das hole ich hier und jetzt nach.
Ich hab dich nämlich vor allem während der Konferenzen beobachten können. Und da sah ich einen Manfred Krugmann, der mal gelassen, mal lässig, mal überaus gut gelaunt, manches Mal genervt, auch mal verärgert und sogar beleidigt war, je nachdem – wie die Chose lief. „Manchmal lippisch, manchmal schnippisch, auch mal flippi(s)ch“. Man konnte das an deiner Nasenspitze und an deinem Mund so gut erkennen. Und das lieber Manfred, hat mir gefallen.
Mir hat gefallen, dass du nicht wie ein sturer Bürokratenhengst eine Tagesordnung durchpauktest, nicht wie ein Hektiker dich verhaspeltest, deinen Standpunkt nicht ständig hinter obskuren bildungspolitischen Reglements verstecktest. Und wenn du das schon mal glaubtest machen zu müssen, auch schon mal mit Konferenz-Verlängerung drohtest, so habe ich das jedenfalls begriffen, aber nicht sonderlich ernst genommen. Denn du kamst doch immer wieder schnell auf den sogenannten Teppich zurück, unter den du nie etwas gekehrt hattest, so dass du für dich gerade stehen konntest.
O, man konnte auch an deinen Kommentaren so gut ablesen, wie du gerade ticktest. Diese Bandbreite, die du in diesen Situationen zeigtest, war und ist sicherlich ebenfalls einer deiner positiven Züge, auch wenn dir deine Züge dabei manchmal entglitten.
Ich habe trotz allem nie erlebt, dass du jemanden im Kollegium hinter einen anderen stelltest. Da war dir die Praktikantin, der Referendar, die junge neue Kollegin ebenso wie das alteingesessene Personal stets gleich wichtig. So etwas ist für einen Schulleiter nicht selbstverständlich. Du hast deinem Kollegium immer soviel Leine gegeben, dass es sich weder gegängelt, noch verlassen gefühlt hat. Dabei den Laden jedoch stets im Auge behalten.
Und diese positive Grundeinstellung gegenüber dem Kollegium, die hast du auch deinen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, gegenüber den Frauen im Büro und den Männern draußen und drinnen und darum herum ohne jeden Dünkel eingenommen. Auch das nicht selbstverständlich.
Du hast einen Begriff für dich wichtig genommen: Team. Nicht intim, sondern im Team wolltest du den Schulalltag gestaltet wissen. Und dazu gehörte für dich: möglichst wenig Regelungswut, dagegen ein Pfund Vertrauensvorschuss gegenüber deinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Deshalb lief hier am Kolleg das meiste auch wie am Schnürchen, nicht immer geräuschlos, aber bei niedrigen Dezibel.
Diese Eigenschaften haben sich möglicherweise aus deinen neben der Schule mit Leidenschaft betriebenen Tätigkeiten ergeben: als Kommunalpolitiker und Fußballvereinsmeier. In beiden Bereichen hast und hattest du ja auch immer mit Menschen zu tun. Für beide Fälle wichtig: die Strategie, aber auch Kenntnis, klare Positionen, aber auch Empathie – Fünfe gerade sein lassen zu können und – wo nötig – auch klare Kante.
Am deutlichsten nachvollziehbar ist das – fast möchte ich sagen – an deinem Mastbrucher Fußball. Da fließen die Strömungen deiner Jugend in Belle auf dem Bolzplatz mit dem dörflich geprägten Mastbruch ineinander. Mastbruch! – ein Ort, an dem man früher das Vieh zum Mästen ins Bruch, den krüppeligen Wald, trieb. Jetzt Ort der Verlängerung deiner Geschichte „Als ich noch der Bellerbub war“.
Aus dem Fußball hast du dir aber auch das gerettet, was ebenfalls eine positive Eigenschaft an dir ist. Jung geblieben zu sein, auch mal sich kindisch freuen zu können. Dafür steht ja auch d e i n Bundesligaverein: Nicht Paderborn, nein, der Erste FC Köln. Ich fürchte, stimmte ich jetzt ein Kölsches Fußballlied an, du sängest sofort mit.
Manfred, deine langen Haare, Entschuldigung, deine langen Jahre am Kolleg haben dich, aber auch das Kolleg enorm geprägt. Du warst und bist „Mister Westfalen-Kolleg“. Niemand wird dir das so schnell nachmachen können. Sprich mit ehemaligen Studierenden und sie werden genau das sagen.
Alle wissen, wie intensiv du dich um die Probleme einzelner Studierender gekümmert hast. Das lief bei dir so fast nebenbei, ohne großes Aufhebens. Es war für dich immer selbstverständlich. Du bist bei den Ehemaligen immer noch in aller Munde.
Du verkörpertest den Geist, die Aura dieser Schule wie kaum ein anderer. Manchmal ist so etwas Glück für alle am Kolleg-Leben Beteiligten. Du warst eben nicht nur der Mann für bestimmte Stunden, sondern der Richtige für die dir hier bestimmten Jahre. Der richtige Manni am richtigen Platzerl.
Das Kolleg wird sich weiterentwickeln, jetzt ohne dich. Vielleicht kannst du sogar froh sein, zu diesem Zeitpunkt zu gehen, wo es noch im Wesentlichen die von dir geprägte Schule ist. Aber das zu thematisieren, hieße für mich hier und heute: Thema verfehlt. Das ist nämlich wieder eine andere Geschichte.
Manfred, du hast mich seinerzeit von einem Segelboot auf das Kolleg geholt, das nennt man wohl auch „shanghaien“. Dafür werde ich dich jetzt zu Wasser lassen, natürlich bildlich gesprochen.
„Der Krugmann geht so lange zum Wasser, Mann, bis er bricht, Mann!“ Also löse ich denn mein abgewandeltes Sprichwort – wie versprochen – auf.
Wir stehen zwar heute am 5. Februar im Zeichen des Wassermanns. Aber keine Angst, ich werde jetzt nicht esoterisch. Ein Bühnen-Kollege hat ja einmal gesagt: Die Esoterik ist der Löwenzahn im Rasen des Lebens.
Nein, Wasser und Mann kann man auch auseinander schreiben, also Wasser, Komma, Mann – Mann also als Ausruf, als Unterstreichen des täglichen zum Wasser Gehens, zum Inselbad mit seinem Teich.
Aha, das meint der Radau also mit Wasser, ein Wässerchen. Nun, aber eines, das mir zu trüben nicht obliegt.
Bleibt also nur noch die Frage, was mit „bricht“ in meinem kryptisch abgewandelten, auf Manfred zugeschnittenen Sprichwort gemeint ist. Nun, keine Angst, ich verweise nicht auf eine mögliche Konsequenz einer wie auch immer beschaffenen Übelkeit. (Obwohl es einem an der Schule sprichwörtlich schon mal übel werden kann. Aber das ist dann das kleinere Übel!) Nein, ich meine schon das Brechen als Zerbrechen.
Nicht dass ich der Überzeugung wäre, Manfred sei besonders zerbrechlich – oder zumindest zerbrechlicher als wir –, zumal ja Walter Benjamin in puncto Überzeugung gesagt hat „Überzeugung ist unfruchtbar“.
Ich kann das auch noch einmal wiederholen, aber dann verlieren wir die Scherben des Zerbrechens aus den Augen. Denn das ist ja mit Brechen gemeint: Manfred verlässt das Kolleg, bevor es zu spät ist, bevor er – wie auch immer geartet – bricht.
Das ist gut so und das habe ich ihm auch in sein „Poesiealbum“ geschrieben.
Wir können den abgewandelten Spruch auch tautologisch fassen, indem wir Wasser und Mann durchaus zusammenschreiben dürfen. Auf einer höheren Ebene sozusagen, die einem scheidenden Oberstudiendirektor angemessen ist.
Manfred macht damit seinem Familiennamen alle Ehre. Denn der Krugmann ist das Ikon, eine Form der bildlichen Darstellung des Wassermanns. Ein Mann, der das Wasser bringt, den Dürstenden – nach Wissen, nach Erkenntnis, nach Orientierung.
Diesen Krug, mein lieber Mann, den hast du oft gefüllt. Ihn kannst du jetzt endlich absetzen. Und mit diesen Worten setze ich dich denn hier und heute auch ab. Segel dahin!
Wäre ich noch an der Schule, dann sänge ich dir jetzt: Wenn du geh’n willst, dann geh! Ich lasse dich frei.
Na denn, Tschö!