Gespräch mit  Heinrich Brinkmöller-Becker anläßlich seines Ausscheidens aus dem Schuldienst mit Dr. Bernhard Kühmel

Es sind wenige Kollegen, die auf eine so  lange Tätigkeit im Feld der Erwachsenenbildung zurückblicken können wie du. Könntest du knapp die verschiedenen Stationen Revue passieren lassen?

Ich war schon als Student ziemlich intensiv im Bereich der Erwachsenenbildung tätig: Fremdsprachen, Deutsch als Fremdsprache, Medien, insbesondere Film, hatte in Bochum das Kommunale Kino mitgegründet… bei verschiedenen Trägern, aber vor allem an verschiedenen Volkshochschulen wurde mir klar, dass bei einem philologischen Studium der gängige Weg in den Schuldienst nicht der meinige sein würde. Die Tätigkeit eines Fachbereichsleiters beim aktuellen forum – Volkshochschule in Ahaus war nur von relativ kurzer Dauer, bei der stark administrativ geprägten Aufgabe fehlte mir der direkte Kontakt zu den TeilnehmerInnen. Als produktiv habe ich diese Phase trotzdem empfunden, weil mir die verschiedenen Facetten der Erwachsenenbildung an der Volkshochschule als Kursleiter und als Hauptamtlicher Pädagogischer Mitarbeiter deutlich wurden und ans Herz wachsen konnten. Für meine berufliche Zukunft war dies insofern prägend, als ich Volkshochschule und Weiterbildungskolleg immer als zwei wichtige und zusammenhängende Säulen der Erwachsenenbildung angesehen habe. Nicht von ungefähr habe ich hier immer ein enges und kooperatives Verhältnis gelebt. Nach verkürztem Referendariat ermöglichte mir – nach zwei Jahren an einem klassischen Gymnasium – der damalige Dezernent für den Zweiten Bildungsweg am Schulkollegium Münster, Paul Kruse, 1982 die Versetzung an das Abendgymnasium Dortmund. Als fünf Jahre später in Bochum die damalige Abendrealschule um einen abendgymnasialen Zweig erweitert wurde, war ich selbstverständlich dabei und ließ mich nach Bochum versetzen, Pionier- und Entwicklungsarbeit fand ich immer schon besonders reizvoll. Das galt auch für meine nächste Etappe: Im fast jugendlichen Alter von 39 Jahren wurde ich 1992 als Schulleiter an das damals noch klein-ländliche Abendgymnasium Gronau versetzt. Hier entwickelte sich mit der Erweiterung durch die Bildungsgänge Abendrealschule und Kolleg und der engen Kooperation mit der Volkshochschule in der Außenstelle Ahaus das, was bekanntermaßen in NRW im Jahre 2000 als Weiterbildungskolleg gesetzlich fixiert wurde. Dem Reiz, in der vitalen Kulturstadt Köln das Abendgymnasium zu leiten, konnte ich dann nicht widerstehen. Von 1997 bis 2004 konnte ich mit einem engagierten Kollegium einiges bewegen, was mir sehr viel Freude bereitet hat: Selbstständige Schule (als einziges WbK!), Gründung der Außenstelle in Bergheim, Entwicklung und Etablieren von ‚abitur-online.nrw’… Die private Bindung an Bochum war jedoch dauerhaft stärker als die berufliche an Köln, die Schulleiterstelle am WbK Bochum wurde vakant, so dass ich 2004 gerne die Chance eines Wechsels aufgriff und an dem Ort die Schule leiten konnte, wo ich mich vielfältig vernetzt fühlte. Gemessen an den sonstigen Phasen meiner beruflichen Etappen war die in Bochum mit elf Jahren die mit Abstand längste.

Revue passierend: Was hat sich in den Jahren seit, sagen wir 1985, im Zweiten Bildungsweg verändert,  zunächst, was ist qualitativ besser geworden?

Grundsätzlich ist dem Zweiten Bildungsweg immer schon eine ständige Veränderung immanent, von daher gab es immer Phasen, die unserer Entwicklung förderlich waren und die wir in diesem Sinne auch nutzten, und solche mit eher gegenteiliger Tendenz. In den 1980er Jahren wurde auf allen Seiten – auf Seiten der Kommunen, der Bezirksregierungen und des für uns zuständigen Ministeriums – die bildungs- und sozialpolitische Bedeutung der Weiterbildungskollegs voll (an-)erkannt  und unterstützt. Die Gründung von Komplettsystemen mit unseren drei Bildungsgängen, um damit Durchlässigkeit für die Studierenden und die Organisation für uns zu vereinfachen, die Gründung von Außenstellen, Kooperationen mit Volkshochschulen und anderen Trägern, viele Kulturprojekte wie z.B. das von dir initiierte ‚Projektionen’, Modellversuche wie zur Medienbildung, zu fächerübergreifendem Unterricht, das Großprojekt abitur-online.nrw – all dies haben wir als Ansätze unserer ständigen Erneuerung im Sinne der Anpassung an gesellschaftliche Realitäten empfunden. Die genannten Projekte wurden von unseren Kollegien engagiert initiiert und getragen und von Seiten der Dezernenten, des Landesinstituts und des Ministeriums voll und ganz unterstützt. Es herrschte ein gewisser verbreiteter bildungspolitischer Schwung in der Erkenntnis um die wichtige Rolle des Zweiten Bildungsweges, sozial Nachbeteiligte auf den unterschiedlichen Wegen der Zweiten Chance zu unterstützen. Weitgehend Konsens bestand dabei auch darin, dass dies besser gelingen kann, wenn den Spezifika der (jungen) Erwachsenen durch unser Angebot Rechnung getragen wird. Für so manche Sonderwege aus Sicht des „Regelsystems“ bestand konstruktives Grundverständnis.

In diesem Kontext würde mich interessieren, wie du es geschafft hast, in Bochum, einer nicht ungewöhnlich reichen Kommune, als Schulleiter einen so imposanten Platz (dies durchaus auch räumlich in Gestalt des neuen Gebäudes) zu „erobern“. Es kann dies doch nicht nur auf ein kairos zurückzuführen sein.

Ja, doch, es war schon ein günstiges Zusammentreffen von verschiedenen Faktoren: Das Weiterbildungskolleg war gerade um den Kollegzweig erweitert, hatte sich nach der Bochumer Lokalpolitikerin und international engagierten jüdischen Frauenrechtlerin Ottilie Schoenewald benannt und auch quantitativ ausgeweitet. Den Bochumer Bildungspolitikern war schon sehr bewusst, dass die Unterbringung an der Querenburger Straße und am Lenneplatz ausgesprochen suboptimal war. Politik und Verwaltung waren gemeinsam mit uns auf der Suche nach einer räumlichen Verbesserung. In dieser Situation wurde der bereits gefasste Beschluss, das Gebäude der früheren VWA an der Wittener Straße abzureißen, von engagierten Denkmalschützern ins Wanken gebracht. Der Erhalt des architektonisch ansprechenden Gebäudes in einer an Architekturschönheiten nicht gerade besonders reichen Stadt und die Suche nach einem für einen dem WbK angemessenen Standort erwiesen sich dann als ein Glücksfall für uns: Wir bekamen ein besonders schönes, zentral gelegenes eigenes Gebäude, das uns bis heute Möglichkeiten eröffnet, die über das rein Unterrichtliche weit hinausgehen. Verglichen mit einem möglichen Neubau hielten sich die Umbaukosten von 4 Millionen Euro im Rahmen und demonstrieren auf kommunaler Ebene eine gelungene Synergie von Bildungspolitik und Denkmalschutz.

Zugleich mit deinen Erfolgen ist aber auch eine  signifikante Verschlechterung unserer Handlungsbedingungen zu beobachten. Was machte dem Schulleiter in Bochum in den vergangenen Jahren die Tätigkeit komplizierter/ schwerer?

Auf Bochumer Ebene waren wir immer in einer Dauernotsituation, was die personelle Versorgung angeht: Der Überhang an anderen WbKs führte leider automatisch zu einer permanenten massiven Unterversorgung an unserer Schule. Die quantitativen und qualitativen Entwicklungsmöglichkeiten wurden deshalb bei uns stark eingeschränkt. Auf Dauer erweist sich naturgemäß eine solche Verknappung der Möglichkeiten als frustrierend.

Heinrich Brinkmöller

Heinrich Brinkmöller

Auf Landesebene hat uns in meinen Augen die erzwungene nahezu völlige Anpassung an den Ersten Bildungsweg nicht sehr geholfen. Wir könnten an vielen Beispielen belegen, dass schulische Erwachsenenbildung anders funktioniert als Regelschulen, dass die im Ersten Bildungsweg wenig Erfolgreichen eine andere Pädagogik und damit andere Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Förderung brauchen als just die des Ersten Bildungswegs. Die zentralen Prüfungen haben zwar immerhin für einen – vielleicht nur scheinbar –  objektivierbaren Leistungsvergleich unserer Studierenden mit den Absolventen des Ersten Bildungswegs gesorgt, so manche Vorbehalte über vermeintliche Qualitätsprobleme an unseren Schulen konnten so nicht nur widerlegt, sondern gegenteilig belegt werden. Aber die normative Kraft der Prüfungsorientierung führt seit Jahren in der Wahrnehmung von vielen von uns zu einer veränderten pädagogischen Praxis, die die formative Kraft einer eher studierendenorientierten Offenheit mit mehr Förderpotenzial für unsere erwachsenen Lerner mehr und mehr aufgibt.  Die vielleicht gut gemeinte Absicht beim Etablieren der Kernlehrpläne, neben der allgemeinen Anerkennung der Abschlüsse Öffnungen für verschiedene Wege, die zum „zentralen Ziel“ führen, bereit zu halten, wird in der Praxis der Prüfungsorientierung wenig Bestand haben.

Jeremiaden sind mir eher wesensfremd, jedoch beobachten wir alle seit längerem, dass das organisatorische Aufgehen des Zweiten Bildungsweges in den Strukturen der gymnasialen Dienstaufsicht keine förderliche Idee war. Bei allem guten Willen und subjektiven Wohlwollen so mancher Protagonisten in den genannten Strukturen ist prinzipiell die Verankerung der Weiterbildungskollegs in den Verwaltungs- und damit auch Logiksystemen der Kinder- und Jugendschulen zum Teil problematisch. Von einer bildungspolitischen eindeutigen Zielrichtung für die Arbeit mit Erwachsenen und entsprechenden Koordination der Institutionen nach klarer Analyse der Situation kann nicht die Rede sein. Jüngstes Beispiel: Der Umgang mit den Flüchtlingen und ihrem allseits anerkannten Potenzial setzte eine klare Abstimmung und einen komplementären Einsatz der jeweiligen institutionellen Ressourcen und Stärken voraus: Wer kann welches Angebot für welche spezifischen Gruppen machen? Welche institutionellen Hürden können/müssten wie beseitigt werden? Wie lässt sich der hohe Kompetenzgrad der Lehrenden des Weiterbildungskollegs für die Verbindung von Sprachvermittlung und Schulabschluss, letztendlich für gelingende Integrationsarbeit nutzen? Da läuft im Rahmen des jeweiligen institutionellen Tellerrands vieles unkoordiniert und aneinander vorbei. Die Umstände um die Zulassungsbedingungen zur Abendrealschule stimmen mich allerdings da nicht sehr optimistisch, sie sind eher ein Symptom für eine schleichende faktische Verkennung des Potenzials der Weiterbildungskollegs im bildungspolitischen Gesamtkonzert.

Wenn du im Horizont deiner Erfahrungen benennen würdest, was den Weiterbildungskollegs fehlt, um ihrer Aufgabe nachkommen zu können, eine zweite Chance zu geben: Was wünschst du dir?

Eine stärkere Anerkennung unserer Arbeit, die sich auch in materialisierter Form niederschlüge, etwa bei der Anerkennung unserer Spezifika, bei der Lehrerversorgung, ein Beispiel dazu: Warum werden die Berufskollegs für ihre Flüchtlingsarbeit mit vielen Stellen ausgestattet und die WbKs nicht, obwohl Integrationsarbeit immer zu dem Kerngeschäft, zum Selbstverständnis und zur Kernkompetenz der WbKs gehörte? Insgesamt brauchen wir viel stärker das, was in wenigen Städten ansatzweise zum Tragen kommt: eine kommunale, ja vielleicht regionale Abstimmung der Bildungsangebote v.a. auf der Ebene der Trias ‚Weiterbildungskolleg – Berufskolleg – Volkshochschule’, verbunden mit einer individualisierten institutionsunabhängigen Bildungsberatung, einer offenen Kooperation der beteiligten Institutionen, einer in diesem Sinne abgestimmten Bildungspolitik. Fast überflüssig anzumerken, dass solche kooperativen Strukturen sich auch in den entsprechenden der Schulaufsicht widerspiegeln müssten. Gerade das aktuelle Beispiel im Umgang mit den Flüchtlingen demonstriert anschaulich, dass bei uns viel stärker in überkommenen institutionellen Strukturen gedacht und gehandelt wird als in solchen, die von konkreten effektiven Problemlösungen ausgehen. In ihrer Geschichte haben sich die Weiterbildungskollegs immer aus einer sozialpolitischen Verantwortung heraus und auch mit Sinn für nötige Pragmatik als affin und kompetent für flexible Lösungen gezeigt. Man muss uns nur wollen und arbeiten lassen.

Zum Surplus, das Schule auszeichnet, gehört, eine Schulkultur zu entwickeln, die über das klassische Unterrichten (häufig reduziert auf kognitive Kompetenzen) hinausweist, es gelang dir, wie und auf welchen Feldern?

Versucht habe ich dies zumindest immer – mit so einigen Gleichgesinnten in den Kollegien – in den verschiedenen Rollen, ob als Lehrer, als Schulleiter, oder – nicht zuletzt mit dir – auf Landesebene, unsere Schule und unsere Schulform immer als einen impulsfreudigen Lebens- und Erfahrungsraum zu begreifen und für unsere Studierende hier entsprechende Öffnungen in Bezug auf die Fächer und andere institutionelle Zwänge zu ermöglichen. In Bochum gibt uns das Gebäude dazu einen passenden Rahmen: Regelmäßige Ausstellungen mit renommierten KünstlerInnen, Musikveranstaltungen vom Dada-Jazz bis zur iranischen Oper, Lesungen und nicht zuletzt viele Theateraufführungen lassen das Gebäude als lebendigen Raum, als Forum für Kultur und Bildung erscheinen – mit entsprechender Innen- und Außenwirkung. Viele Studierende geben uns immer wieder Rückmeldung darüber, dass ihnen gerade diese außerunterrichtlichen Aktivitäten einen nicht zu unterschätzenden auch im doppelten Sinne identitätsförderlichen Rückhalt gegeben haben. Schule bedeutet eben deutlich mehr, als erfolgreich einen Schulabschluss zu machen, dies gilt für das Weiterbildungskolleg als Angebotsschule in besonderer Weise.

Besten Dank und alles denkbar Gute für die Zukunft.